Da ist diese eine Sache, an die ich mich einfach nicht gewöhnen kann. Und nicht gewöhnen will. Dass Du, kaum bist Du Mutter geworden, Deine Individualität in den Urlaub schickst. Du hast plötzlich keine eigenen Wünsche mehr. Du lebst jetzt im Doppel. Das neue Wir-Gefühl hat Dich gepackt. Es äußert sich in der rasanten Metamorphose Deines Wortschatzes: Statt „Ich“ sagst Du nur noch „Wir“.
Es ist wieder einer dieser Freundinnen-mit-Kindern-Nachmittage. Wir sitzen bei Kaffee, Kakao und Kuchen zusammen. Wer möchte Sahne? „Oh, wir nehmen gern welche!“, sagt meine Freundin, die sich mit Sohn Moritz vor den gemeinsamen Teller setzt. „Ähm, können wir bitte noch ein Lätzchen von Euch bekommen?“, fragt eine andere Freundin. Natürlich möchte sie ein Lätzchen für Emma haben, nicht für sich und schon gar nicht für beide. Aber da ist es wieder: das royale Wir. Das Relativpronomen, das im Leben einer Mutter die größte Rolle spielt. Und oft die seltsamsten Gespräche generiert. Besonders für Kinderlose muss es der Horror sein.
„Wir haben das ganze Auto vollgekackt!“
Es dauert keine zehn Minuten, dann fällt es schon wieder. Es klingelt – und eine Freundin schnaubt genervt ins Zimmer. „Sorry, Mädels“, keucht sie, „aber wir hatten einen Windelunfall und haben das ganze Auto vollgekackt!“ Alle rümpfen die Nase. „Igitt“, sage ich und grinse, „hast Du etwa auch?!“ Und starre auf die Hose meiner Freundin. Sieht aber sauber aus. Sie winkt nur ab. „Quatsch, ich doch nicht. Emma!“ Ich seufze. Das Problem ist noch viel größer, als ich dachte. Denn der Nachmittag geht genau so weiter: mit dem Wir-Gefühl. Permanent. Was gibt’s Neues? „Oh, wir haben letzte Woche wieder zwei Zähnchen bekommen.“ Ach so, jeder eines – oder wie? „Übrigens: Den Aprikosenkuchen haben wir mal bei diesem neuen Bio-Bäcker gekauft!“ Hui, hat Emma den von ihrem Kindergeld spendiert? Ist ja großzügig! Auch so ein Beispiel ist die Weihnachtskarte von den Nachbarn – warum unterschreiben die denn für ihre einjährige Tochter mit? Will Marie mir denn wirklich auch ein frohes Fest wünschen? Oder wollen ihre Eltern das nur? Hat sie das in Gebärdensprache deutlich gemacht? Ich will gar nicht schnippisch sein, auch wenn ich es bin, aber: Gegen diese Wir-Sätze bin ich allergisch. „Geht Euch das nicht auch so?“, frage ich meine Freundinnen. „Nö, wir sind ja jetzt ein Team“, sagt die eine. „Das ist halt so, daran wirst Du dich einfach gewöhnen müssen“, sagt eine andere. Hmm, will ich aber nicht.
Bloß weil ich Mutter bin, bin ich ja immer noch ich. Nicht nur immer die-Mutter-von-Nora. Die bin ich schon beim Mutter-und-Kind-Turnen und in der Kindermusikschule und im Kinderschwimmkurs und im Kindergarten und auf dem Spielplatz. Das reicht ja wohl. Und nur, damit keine Missverständnisse entstehen: Ich bin unfassbar glücklich in meiner Rolle als Mama und kann mir keinen schöneren Lebensinhalt vorstellen, als die-Mutter-von-Nora zu sein. Aber ich bin eben auch noch jemand anderes. Nicht nur manchmal, sondern immer. Ich habe mich doch nicht mit der Geburt von meiner Individualität komplett verabschiedet. Und schon gar nicht lasse ich mir meinen Wortschatz hormongesteuert dezimieren!
„Wir können jetzt sprechen!“
„Mich stört das ehrlich gesagt auch“, sagt meine Freundin, die Mama von Felix. „Aber manche Wir-Sätze passen ja auch ganz gut.“ Zwar nicht so viele, aber es gibt sie: „Wir krabbeln jetzt auch vorwärts“ ist so einer. Denn natürlich krabbelt jede Mama mit auf dem Boden rum. Oder: „Wir können jetzt sprechen!“ Der ist auch absolut okay. Denn jede Mutter freut sich, wenn sie nicht mehr „Gaga-dadada“-Gespräche führen muss, sondern mit ihrem Kind richtig reden kann. Auf Deutsch. Und am besten ist sowieso der Satz „Wir schlafen zurzeit so schlecht“: Natürlich schläft immer auch die Mutter bescheiden, wenn das Kind alle zwei Stunden schreiend wieder aufwacht. In Sachen Schlaf sind Mutter und Kind natürlich eine Symbiose. Und was für eine.
Wir lachen noch eine Weile über sinnige, unsinnige und komplett unsinnige Beispiele. Und es gibt viele Beispiele. Dann ist allmählich Aufbruchstimmung und ich schnalle Nora auf ihrem Autositz an. Es hat ein bisschen geschneit, ein Streufahrzeug biegt in die Straße ein. Als ich gerade ins Auto steigen will, ruft mir meine Freundin von der Haustür aus noch zu: „Fahrt vorsichtig!“ Und was antworte ich? „Na klar, machen wir.“ Ich tippe mir mit dem Finger an die Stirn. Als ob Nora einen großen Beitrag zur sicheren Heimfahrt leisten würde. Oh Mann, da sind wohl mal wieder die Pferde mit uns durchgegangen. Quatsch: mit mir!
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