Reise, Unterwegs
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In der Heimat des heimatlosen Dichters Dylan Thomas

Müde knarren die Holzdielen im kleinen Bootshaus. Neben dem unaufgeregten Lachen und Tratschen der Möwen ist hier, am Cliff Walk im südwalisischen Laugharne, nur eines zu hören: munteres Geklapper der Kuchengabeln auf Porzellantellern. Ihre Kaffeetassen setzen die Touristen klirrend ab, während sie über ihn sprechen: Dylan Thomas. Den großen Poeten und beinahe noch größeren Trinker. Den walisischen Nationaldichter, der Zeit seines Lebens kein Wort walisisch sprach. Der dafür jedoch so schrieb, wie die Menschen in dieser rauen Ecke des Königreiches sind: ursprünglich und ehrlich.

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Wo heute Kaffeegäste bewirtet werden, spielten einst seine Kinder Aeronwy, Colm und Llewelyn im Garten. Wo heute Besuchern Dokumentarfilme über das Leben des Schriftstellers gezeigt werden, schlief er einst neben seiner Frau Caitlin im Bett. Wo heute ein nüchternes, kreatives Chaos inszeniert ist, feilte Thomas an seinen Texten – nur war er dabei oftmals alles andere als nüchtern. „The Shack“ nannte Dylan Thomas seine Garage, die für ihn Schreibstube, Rückzugsort und Ausnüchterungszelle zugleich war. Mittags, nach dem Aufstehen, setzte er sich hier an seine Schreibmaschine. Nachts, nach dem allabendlichen Pub-Besuch, betrat er wieder den schmalen Raum mit dem Fenster zum Fluss, um Niedergeschriebenes zu überarbeiten.

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Schon 1938 zog es den 1914 in Swansea geborenen Dichter mit seiner Frau nach Laugharne. Das alte, zweigeschossige Bootshaus bewohnten beide, ehe sie nach London gingen. Von 1949 bis 1953 diente es erneut als Heimat des heimatlosen Dichters. Wales verehrte er zwar, doch nur in England oder Amerika konnte Thomas von seiner Kunst leben. „And some, like myself, just came, one day, for the day, and never left; got off the bus, and forgot to get on again“, schreibt Thomas über seinen Wohnort. Hier und aus Begegnungen in New Quay an der nördlich gelegenen Cardigan Bay schöpfte er Inspiration für sein bedeutsamstes Werk: „Under milkwood“ („Unter dem Milchwald“).

Schon 1933 hatte Dylan daran zu schreiben begonnen; 1945 wurde das BBC-Hörspiel erstmals aufgeführt. 1953 reiste er für eine Theaterpremiere des Stückes nach New York, übernahm selbst eine Rolle, ehe er im New Yorker Chelsea Hotel in ein Koma verfiel, aus dem er nie mehr aufwachen sollte.

Doch nicht in Amerika, sondern in Laugharne liegt Dylan Thomas begraben – neben seiner Frau Caitlin. Der Friedhof im Küstenort ist als Pilgerziel kulturbeflissener Wales-Urlauber ebenso beliebt wie „Brown’s Hotel“, der Lieblingspub des Dichters. Und natürlich das Bootshaus, das heute ein liebevoll eingerichtetes Museum voller persönlicher Gegenstände und Erinnerungsstücke ist.

Kein Tag vergeht in Laugharne, an dem an der Wogan Street nahe dem Castle nicht die Reisebusse mit neugierigen Touristen halten. Auch Dylans Geburtsstadt Swansea birgt viele Schätze für alle, die seinen Fährten folgen. Sein Geburtshaus, in dem er bis zum Alter von 20 Jahren mehr als 200 Gedichte verfasste, steht am Cwmdonkin Drive 5 und ist ein beliebtes Fotomotiv – auch ohne Museumsinterieur. Bei der South Wales Evening Post in Swansea ist er nach seinem Schulabschluss 15 Monate lang als Reporter angestellt; es sollte die einzige feste Anstellung seines Lebens bleiben. Wer Swansea Bay, das maritime Zentrum der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Industriestadt, ansteuert, stößt auf das Dylan Thomas Centre. Es ist ein multimediales Ausstellungshaus samt Buchhandlung. Dem Leben und Werk des Poeten lässt sich hier auf stimmungsvolle Art nachspüren. Nicht weit davon entfernt, hat das Dylan Thomas Theatre sein Quartier an der Marina bezogen. Der Schauspielgruppe, damals im benachbarten Ort Mumbles ansässig, gehörte auch der Schriftsteller an. Ein Leben lang war er mit einigen der Spieler eng befreundet. Und das, obwohl er nur seine Kindheit und Jugend in Swansea und Mumbles verbrachte. So lange war er einem Ort nicht wieder treu. Einer Frau schon gar nicht.

Während des Krieges brachten ihn familiäre Kontakte – Thomas ging stark betrunken zur Musterung, um nicht auch noch eingezogen zu werden – nach New Quay. Im Ort an der Cardigan Bay war schon sein Großonkel Gwilym Marles als „local minister“ und bekannter Poet geschätzt worden. Thomas lebte mit Caitlin von 1941 bis 1943 hier. New Quay, in dessen Pub „Black Lion“ heute das „Dylan’s Restaurant“ beherbergt ist, soll als Vorbild für die fiktive Stadt „Llareggub“ aus „Unter dem Milchwald“ gedient haben.

Zahllose Schilder wecken in New Quays Straßen den Spürhund im Spaziergänger: Hier brachte er seine Manuskripte zur Post. Dort wohnte seine Tante. Dahinten stand einst sein Bungalow. Im Herbst 1944 mietete Thomas für einen Pfund pro Woche die kleine Unterkunft namens „Majoda“. Das zugige, nicht allzu gemütliche Häuschen mit dem Panoramablick stand direkt an der Küstenstraße. 2007 wurde es für die Dreharbeiten zum Dylan-Thomas-Film „Edge of Love“ in New Quay wieder aufgebaut. Seitdem wandelt jeder, der am Strand entlang spaziert oder am Pier den Sonnenuntergang betrachtet, nicht mehr nur auf Dylan Thomas’ Spuren. Auch Keira Knightley und Sienna Miller flanierten für den Filmdreh schon durch das Seebad. Nur bis deren Fährte für Touristen nachgezeichnet ist, wird es wohl noch ein Weilchen dauern.

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